Als ich die Leiter anlehnte, sah ich, wie ein großer blauer Lichtbogen von der Hochspannungs-leitung (20.000 Volt, der elektr. Stuhl hat lediglich zwischen 500 und 2000 Volt) auf die Leiter übersprang. Der letzte Gedanke, der mir durch den Kopf ging, war nur „Scheiße!“. Dann spürte ich einen Schlag, als wenn mir jemand einen Vorschlaghammer auf den Kopf hauen würde. Mein ganzer Körper verkrampfte sich. Mein Kiefer verkrampfte sich so sehr, dass fast alle meine Zähne Risse bekamen.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie meine Arbeitskollegen von der Wucht des Stromschlags durch die Luft geschleudert wurden. Danach wurde mir schwarz vor Augen und ich wurde ohnmächtig.

Die Arbeitskollegen waren danach außerhalb des Gefahrenbereichs. Der Vorarbeiter holte geistesgegenwärtig eine Holzleiter vom LKW und versuchte damit immer wieder die Aluleiter, an der ich noch immer hing, von der Leitung weg zu stoßen. Dies wollte ihm aber nicht gelingen, denn jedes mal, wenn er glaubte, dass die Aluleiter umfällt, zog der Strom durch seine starke magnetische Anziehungskraft diese wieder zurück. Der Vorarbeiter gab nach einigen Versuchen auf, da er auch angeschlagen war und er daher keine Kraft mehr hatte. Der Hilfsarbeiter hingegen lag auf dem Boden und schrie laufend.

Als endlich Hilfe kam, dauerte es immer noch eine geraume Zeit, bis der Strom ausgeschaltet wurde, laut Zeugenaussagen hing ich zwischen 23 und 27 Minuten in der Stromleitung. Allerdings stand ich nicht die ganze Zeit unter Strom.

Man kann sich das fast wie mit dem Stromkreis im Haus vorstellen. Wenn dort ein Kurzschluss verursacht wird, dann fliegt die Sicherung heraus, nur mit dem großen Unterschied, dass dort die Sicherung draußen bleibt. Bei der Hochspannungsleitung ist das anders. Wenn dort ein Kurzschluss ist, dann bleibt die Sicherung für ca. 5 Sekunden noch drinnen und fliegt erst dann raus. Aber nach ca. 10 Sekunden schaltet sich die Sicherung automatisch wieder ein, und so geht es immer weiter, bis der Strom abgeschaltet wird. Das liegt daran, da die Stromversorgung sonst nicht herausfinden kann, wo genau der Kurzschluss verursacht wurde.

Ich weiß es nicht, ob es eine Ironie des Schicksals war, aber an diesem Tag wäre ich normalerweise bei der Schwester meines besten Freundes zur Hochzeit eingeladen gewesen. Aber da ich erst ein paar Tage in der Firma arbeitete, bekam ich nicht frei und musste leider arbeiten. Die Hochzeit fand im Nachbarort unserer Baustelle statt, zu der auch eine Ärztin eingeladen war, die dann als Ersthelferin zum Unfallort gerufen wurde.

Als die Ärztin wieder zur Hochzeit zurückkam, wusste niemand dass es mich erwischt hatte. Erst am Abend, als mein Vater meinen Freund angerufen hatte und ihm sagte, bei wem die Ärztin erste Hilfe geleistet hatte. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal bei den Anwohnern und bei den Ersthelfern bedanken, ohne die ich höchstwahrscheinlich schon am Unfallort verstorben wäre. Die Anwohner haben eimerweise Wasser heran geschleppt, um mich zu kühlen. Vom Unfallort aus wurde ich dann mit einem Bundeswehrhubschrauber in eine Spezialklinik nach Stuttgart geflogen.